Mittwoch, 18. Juli 2012

Der Levy-Report. Und eine Frage an Bernd Dahlenburg

Eine israelische Regierungskommission hat den "Levy Report", nach HaOlam, dem Deutsch-Israelischen Online-Magazin, "den gesetzestreuen Bericht des Richters Edmund Levy", vorgelegt. Was steht in dem Report?

"dass die Siedlungen mit vollem Wissen der Regierung errichtet wurden, mit Wissen “beginnend von den Ministern bis zu denen, die die Regierung führen, und weiter zu den untersten Verwaltungsebenen“. Das Komitee spricht die Siedler von allen kriminellen Anklagen frei: “Die Argumentation der Regierung, dass die Siedlungen illegal errichtet worden seien, obwohl sie einerseits selbst den Bau ermutigt hat, während sie andererseits ihre Planungsverfahren ‘eingefroren‘ hat – das ist ein Verhalten, das Treu und Glauben im höchsten Grad widerspricht.
Er enthält ebenfalls die rechtlichen Rahmenbedingungen, die der Regierung problemlos den Planungsprozess und die Genehmigung von Nachbarschaften in Siedlungen ermöglichen, deren Gründung von der Regierung ermutigt wurde. Dies geschieht mittels der so genannten “Tower and Stockade“ Methode – wonach illegal errichtete Gebäude nicht zerstört werden, sobald das Dach vervollständigt worden ist.
Der Levy Bericht behandelt auch die bizarre “Landnutzung – Störung“ Anordnung, die die Zivilverwaltung in Judäa und Samaria befähigt hat, Israelis von ihrem Land oder aus ihren Häusern zu werfen, wann immer ein Palästinenser auftauchte und behauptete, dass das Land ihm gehören würde; das Komitee schlägt vor, diese Anordnung als hinfällig zu betrachten. Am Montag bezeichnete Levy diese Anordnung als „barbarisch“ und erklärte, dass “das Rechtssystem für so etwas keinen Platz hat“.
Vor allem aber bringt das Komitee ans Licht, was der stellvertretende Generalstaatsanwalts Mike Blass und seine Freunde in den letzten Jahren ignoriert haben: Und zwar, dass Israel überhaupt rein gar nichts besetzt hält. Judäa und Samaria unterstehen keiner kriegerischen Besatzung. Israelis haben das Recht, sich in Judäa und Samaria nieder zu lassen, und die Siedlungen sind nicht illegal!" (zitiert nach HaOlam.de, Fettdruck durch mich)

Mit den Aussagen des "gesetzestreuen" Levy-Reports sind alle Vorhänge gefallen, nichts bleibt unklar (oder doch Ihr Einzigwahren Freunde Israels?). Hier wird eine Rechtsgrundlage geschaffen für Aktivitäten, die in vollem Wissen der Regierung getätigt wurden. Ich habe hier immer wieder darauf hingewiesen, dass die Siedlungspolitik die mehr oder weniger offene Agenda der israelischen Regierungen und inzwischen wohl des Mainstreams in Israel ist. Wie auch in der Nuklearpolitik wurde bisher in der Siedlungspolitik der Diskurs in der Schwebe gehalten; die Agenda wird durchgeführt, gleichzeitig Israels "Friedenspolitik" betont. Shalom, Shalömchen. Kein Land, in dem der Frieden so häufig im Mund ist. Mich erinnert das an die 68er-, Sponti-, Hausbesetzer- und Kiffer-Devise "Legal, illegal, scheißegal".  Mit der Annahme des Levy Reports wäre damit Schluß. Das de facto der Siedlungspolitik wird durch das de jure gefestigt. Müssen wir Richter Edmund Levy nicht dankbar sein?

Nun, soweit sind wir noch nicht, dass diese Politik weltweit Anerkennung findet. Neben der SPD-Bundestagsfraktion ("Nahost-Konflikt: Zwei-Staaten-Lösung darf durch Levy Bericht nicht in Frage gestellt werden") hat auch die New York Times Einspruch erhoben:

Wrong Time for New Settlements in the West Bank

"Palestinian hopes for an independent state are growing dimmer all the time. Israel is pushing ahead with new settlements in the West Bank and asserting control over new sections of East Jerusalem, which the Palestinians claim as their capital. Meanwhile, peace talks — the best guarantee of a durable solution — are going nowhere. [...]
dispiriting anomaly: that a state founded as a democratic homeland for the Jewish people is determined to continue ruling 2.5 million Palestinians under an unequal system of laws and rights.
That is unsustainable, and it is damaging to Israel’s security and regional peace. Now that Mr. Netanyahu has expanded his ruling coalition, his excuse is gone for not ending his counterproductive settlement policy and using his new political clout to advance a peace agreement with the Palestinians."

Mein alter etwas bocksbeiniger und störrischer Freund aus Augsburg, Bernd Dahlenburg, ist jedoch mit der Kritk der New York Times überhaupt nicht einverstanden und meint, es sei die


Bernd Dahlenburg weiß "Warum verlaufen die Friedensgespräche – die große “Garantie für eine dauerhafte Lösung” – im Sand? Ganz einfach: die Palästinenser verweigern sich Gesprächen."

Nun, Bernd Dahlenburg gehört zu den Einzigwahren Freunden Israels, die seit Jahr und Tag anmerken, dass der Friede im Nahen Osten schon längst ausgebrochen wäre, wenn die palästinensischen Halunken, Blockadekräfte, Jammerlappen, Pallywood-Traumtänzer die israelischen Friedensoffensiven nicht permanent und systematisch zurückgeschlagen hätten. Nun würde ich aber gerne von Bernd Dahlenburg und seinen Freunden wissen, ob er dem Levy Bericht beistimmt oder nicht. Was sind die Angebote und Chancen, die die Palästinenser eigentlich nicht ablehnen, sondern ergreifen müßten? Was ist die Verhandlungsmasse? Das (Quelle)? Shalom, Shalömchen.

Dienstag, 17. Juli 2012

Hannes Stein denkt über den Atomkrieg nach

Freunde, immer noch bin ich im Stand-by-Modus, da es nichts konzeptionell Neues unter der Sonne bei den Einzigwahren Freunden Israels gibt. Mag sein, dass das das Schlimme ist, aber das lockt mich z.Z. nicht hinter dem Ofen heraus.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Hannes Stein - Sie wissen, das ist die schöne Seele, der sensible Philosoph bei den Einzigwahren Freunden Israels, Kostproben hier, hier und hier) - räsoniert über den Atomkrieg

Nukleare Abschreckung: Atomkriege kann man denken - aber auch führen?

Klar, Atomkriege kann und muss man auch führen, Hannes Stein zeigt uns in seiner Besprechung des Buches

Ron Rosenbaum: "How the End Begins. The Road to a Nuclear World War III", Simon & Schuster, 304 Seiten, 28 Dollar

wann, warum und wie ein nuklearer Erstschlag moralisch geboten und erlaubt sein kann mit der gebotenen Nüchternheit und Sorgfalt. Ron Rosenbaum ist, so Hannes Stein,

"Als Autor für dieses Thema ist Rosenbaum jedenfalls prädestiniert: Aus seiner Feder stammt auch ein Bestseller über die verschiedenen (oft ziemlich aberwitzigen) Versuche, Hitler zu erklären [...] Ron Rosenbaum ist ein Mann mit Sinn für Subtilitäten, für Nuancen, Paradoxien und Zwischentöne. Diesen Feinsinn benötigt dringend, wer sich auf das Gebiet des Atomkrieges vorwagt, denn hier herrscht verwirrendes Zwielicht."

Wie gesagt, die Überlegungen, die uns Hannes Stein vorstellt, sind sorgfältig und sehr gewissenhaft, zeugen von tiefem moralischen Ernst; erörtert werden ein Moralisches Dilemma der atomaren Abschreckung und Moralische Paradoxien des nuklearen Krieges. Letztere bestehen darin - Hannes Stein zitiert und übersetzt:

"Moshe Halbertal [Talmudforscher und Experten für militärische Ethik] meint dazu ganz kategorisch Folgendes: "Du darfst dein Leben nicht auf Kosten unschuldiger Menschen retten, auf die du zielst." Ein atomarer Bluff sei erlaubt, alles Weitere unter keinen Umständen (auch nicht im Fall eines Atomkrieges) gestattet: "Ich bin gegen einen Vergeltungsschlag." Aber das ist nicht die ganze Enthüllung. Das dicke Ende kommt sozusagen noch. Gleich danach sprach Halbertal seinem Gesprächspartner nämlich aufs Tonband: "Es könnte eine Situation geben, in der die einzige Chance, einen nuklearen Angriff auf Israel zu verhindern, darin bestünde, den iranischen Staat zu zerstören.
Damit meine ich: Man müsste seine Fähigkeit zerstören, als ein Staat zu handeln. Und hier – so merkwürdig es ist, das zu sagen – wäre das beinahe ein Fall des kollateralen Tötens von Zivilisten. Dies würde nicht auf unschuldige Zivilisten zielen, es ist nicht Hiroshima und Nagasaki. Es könnte gegen Atomlaboratorien, gegen Fabriken, gegen Reaktoren gerichtet sein, was auch immer sie haben. Oder gegen den Staatsapparat, der notwendig ist, um so etwas anzuordnen und herbeizuführen."

Die Überlegungen fasst Hannes Stein so zusammen (da ich das Buch nicht gelesen habe, weiß ich nicht, ob diese Interpretation zulässig ist):

"Mit anderen Worten: Ein Gegenschlag wäre immer verwerflich. Aber ein gut gezielter nuklearer Erstangriff, bei dem unweigerlich auch Nonkombattanten umkommen würden, könnte unter bestimmten Umständen moralisch erlaubt sein – um noch Schlimmeres zu verhindern, um die Zahl der Opfer auf beiden Seiten möglichst gering zu halten."

Nun ja, gut gezielter atomarer Erstangriff. Ich hatte es nicht für nötig gehalten, in der Debatte über das Grass-Gedicht Was gesagt werden muss mitzutönen. Ich fand  Grassens implizite Unterstellung eines nuklearen Erstschlags Israels gegen den Iran falsch, da ich bisher immer davon ausgegangen bin, dass es den Israelis darum geht, mit einem militärischen nicht atomaren Schlag die Entwicklung einer iranischen Atommacht zu stoppen. Nach der Aufklärung durch Hannes Stein muss ich diese Ansicht möglicherweise revidieren.

Ich muss auch gestehen, dass es mir auf den Sack geht, wenn die Besatzungspolitik Israels oder ein nuklearer Erstschlag gegen den Iran ganz skrupulös, unter Abwägung aller moralischen Gesichtspunkte, Dilemmata und Paradoxien durchgeführt oder erwogen wird.  Henryk M. Broder wirft den Deutschen zuweilen vor, dass sie Exportweltmeister der Moral sind, Weltmeister der Moral sind die Israelis.




Freitag, 30. März 2012

Israel: Der Status quo ist die beste aller Welten

Die schöne Lüge der Einzigwahren Freunde Israels ist, dass der Friede sich schon längst im Heiligen Land niedergelassen hätte, wenn nur nicht die palästinensischen Halunken, Terroristen, Terroristenmütter, Traumtänzer etc. nicht alles getan hätten, um ihn zu verhindern. Ich meinerseits habe schon seit langem darauf hingewiesen, dass die angebliche  Zwei-Staaten-Lösung eine Fiktion ist, die den "Friedensprozess" perpetuiert, dass der Status quo Israels modus operandi der Wahl in den "strittigen Gebieten" ist.

Jörg Lau auf ZEIT online: Warum man die Zwei-Staaten-Lösung vergessen kann hat auf diese plausible Analyse von Noam Sheizaf:

One or two states? The status quo is Israel´s rational choice

Für die Freunde des Mantras "Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten" ist es beruhigend, dass eine klare Mehrheit der Juden in der Weiterführung der Besatzung kein Problem für die jüdische Demokratrie sieht

"… even long-term continued rule in the territories will not prevent Israel from remaining a Jewish and democratic state."

Montag, 12. März 2012

Bomb bomb bomb, bomb bomb Iran

Manchmal läuft ein Wendepunkt in der Geschichte wie ein geiler Comic ab (die Menschenfreunde mögen mir die "Begeisterung" nachsehen). Ein bißchen voreilig, doch sehr visionär waren die Jungs und Iran-Analysten von Honestly Concerned, zur WM 2006 präsentierten sie die Videoanalyse "Was ist das Ziel eines atomaren Iran":





Der Kandidat John McCain wäre nicht so ein zögerlicher Peacenik wie Barack Hussein Obama gewesen:



Jetzt gilt es, der Welt zu zeigen, dass den Iran bombardieren heißt Auschwitz bombardieren. Netanyahu hat sich auf den Weg gemacht; er sagt den Amerikanern "You also refused to bomb Auschwitz". Bis auf Barack Hussein Obama applaudieren die Yankees. (Ergänzend lesen Sie bitte die schöne Glosse von MondoPrinte: "Solange der Holocaust wieder vor der Tür steht, kann ihnen nichts passieren"). Die Agenda der Administration Netanyahu & Lieberman hat Juliane von Mittelstaedt im SPIEGEL so zusammengefasst:

".... verwirklicht die rechtsnationalistische Regierung in Jerusalem derzeit mit viel Elan ihren Traum von einem Großisrael, baut völkerrechtswidrig Siedlungen aus und hat die Gespräche mit den Palästinensern praktisch eingefroren. Aus Washington ist kaum Kritik zu hören. Netanjahu hat sich durchgesetzt. Seine Regierung ist so stabil wie schon lange keine mehr. Kein Streit über Siedlungen schafft Unruhe, die Abgeordneten dürfen sich gegenseitig bei ihren wahnwitzigen Gesetzesvorhaben übertrumpfen. Was ihm fehlt, ist eine feste Verpflichtung Obamas, ein nukleares Iran um jeden Preis zu verhindern." (Quelle)

In dieser Stunde der Bewährung darf natürlich der größte Holocaustfachmann aller Zeiten, Henryk M. Broder, nicht fehlen, und zwar wieder mit einem dicken Wälzer, in dem, ich wette, der Zettelkasten rumpelt und pumpelt.

Meint er natürlich nicht so. Der Schlaumeier weiß natürlich, was eine paradoxe Intervention ist - und wie die Deutschen hier die Hacken zusammenschlagen und die Ohren steif machen.

Da ich weiterhin nicht motiviert bin, die Einzigwahren Freunde Israels mehr als flüchtig zu beobachten (same as it ever was) - die Situation im Nahen Osten jedoch eher eskaliert als einem unvollkommenen Frieden nahezukommen, schlage ich Ihnen, liebe Besucher, die trotz meiner Abstinez diesen Blog immer wieder besuchen, vor, sich jenseits des Mainstreams auf der Facebookseite der "Nahost-Blogger" kundig zu machen und dort lesenswerte Informationen und Kommentare mitzunehmen. Die Jungs bleiben am Ball.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Sloterdijk For President!

Anläßlich der immer noch nicht abgeschlossenen Diskussion um den Bundespräsidenten. Ich will mich mal thematisch lockern.

Die Staatstheoretische Funktion des Bundespräsidenten ist durch sein Handeln und Auftreten "den Staat selbst - seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit - sichtbar zu machen", so die Darstellung auf der Official Site des Bundespräsidenten. Person und Amt des Bundespräsidenten sollen kongruieren; die Person des Bundespräsidenten prägt das Amt, mehrt bzw. mindert sein Ansehen und seine Würde, wird umgekehrt daran gemessen. Der Bundespräsident, die erste Person im Staate, soll - parteipolitisch neutral und in Distanz zur Parteipolitik - eine "klärende Kraft" sein; er wirkt durch Reden, die gesellschaftliche Debatten aufgreifen oder anstossen.

Der gegenwärtige Amtsinhaber präsentiert in seiner Person eine Einstellung des pursuit of happiness durch Netzwerke, Seillschaften, Pakte, nützliche Freundschaften, die durch gegenseitige Vorteilsnahmen win-win-Situationen sind; net-working, das nicht nur in "Hannover" gepflegt werden dürfte. Insofern wäre der Amtsinhaber ein primus inter pares. Er sieht sich selbst nicht das Ansehen des Amtes schädigen; er beansprucht für sich ein Humanum, ein Menschlich-Allzumenschliches,  peccare (delinquere) humanum est. - Nun ist das Auditorium von dieser Interpretation von Amtswürde, nämlich dass ein weitverbreitetes gesellschaftliches Fehlverhalten (Korruption) nicht mit ihr kollidiert,  wenig amüsiert und gar nicht überzeugt. Stutzig macht jedoch die heilig-erregte Stimmung, in der man den präsidialen Sündenbock, das personifizierte "Unbehagen an unserer Kultur" (Wolfgang Michal), in die Wüste jagen will. Ist die Diskussion eine Kartharsis, trägt sie zur Wiederherstellung der "Würde", des "Ansehens" des Amtes bei? M.E. sagt die Diskussion etwas über unseren politischen Stolz und unsere Scham.  Auf der einen Seite wird idealistisch ein Bundespräsident gefordert, zu dem dieses Land aufschauen kann, eine subjektive, integre Stimme, die in der gesellschaftlichen Polyphonie bzw. Kakophonie von pop-kulturalisierten, mehr oder weniger gleichgeschalteten, wunschgemäß oberflächlichen  und entsubstantialisierten Konsumenten Gehör findet; gegen das taktierende politische Alltagsgeschäft soll er einen Kontrapunkt setzen; nostalgisch wird an Gustav Heinemann und Richard von Weizsäcker erinnert, ohne zu fragen, ob es die Erden und Wurzeln noch gibt, auf der diese Bäume gewachsen sind; kurz: er soll ein Leuchtturm in unserer See von Plagen sein. Auf der anderen Seite reagiert das Auditorium ironisch bis resigniert defätistisch und zynisch, fragt wie ein Jacob Augstein, ob es denn "zuviel verlangt sei, wenn wir gerne einen anständigen Bundespräsidenten hätten. Der Bundespräsident soll sich an die Gesetze halten und ein bißchen Stress abkönnen." oder fordert, dass er wenigstens nicht so dämlich sei, sich erwischen zu lassen, den schönen Schein zu wahren wisse.

Die Würde des Amtes ist durch diesen Bundepräsidenten beschädigt. Einige fordern, das Amt abzuschaffen, da es keine politische, sondern nur eine symbolische Bedeutung habe (das Amt ist symbolisch - also praktisch überflüssig, Alan Posener). Dies würde m.E. bedeuten, dass die "Staatstheoretischen Funktionen", die der Bundespräsident ausübt, von einem anderen Amt zusätzlich übernommen werden müßten; dies würde auf eine Präsidualdemokratie wie in USA oder Frankreich hinauslaufen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass man das Amt des Bundespräsidenten als einen überparteilichen Kontrapunkt zu den anderen politischen Ämtern bewahren und aufwerten sollte.  Es geht nicht darum, einen Bundespräsidenten ohne Fehl und Tadel zu backen, zu dem wir wie zu einem gütigen Herrgott aufschauen. M.E. geht es darum, die Auswahl- und Wahlverfahren so zu modifizieren, dass sie das Postulat der Parteiunhängigkeit des Bundespräsidenten umsetzen, und die Kandidaten an Qualitätskriterien, vor allem daran zu messen, ob sie der Königsdisziplin eines Bundespräsidenten gewachsen sind: gesellschaftliche Debatten aufzugreifen oder anzustossen, sie zu moderieren und zu gewichten, Resonanz zu verschaffen. Er kann und darf nicht unumstritten sein, er soll Weitblick haben, ein Sensorium dafür, was zu ändern ist, wenn wir (diesen Staat) bewahren wollen. Er ist der Repräsentant dafür, dass wir in unserem Gemeinwesen uns nicht defätistisch und amorfatistisch mit Prozessen, auf die wir wenig bis keinen Einfluss haben, abfinden, sondern die Zukunft gestalten wollen. Der Bundespräsident ist der Tribun unserer Zukunft.

Ich möchte ein Beispiel geben, an dem man Pro und Contra schärfen kann. In einer Diskussion auf Starke Meinungen, der ich viele Anregungen und Einwände verdanke,  schrieb Roland Ziegler "Wir sollen unser Leben ändern, sagt Peter Sloterdijk. Zur Strafe verändern wir das Leben von Sloterdijk und wählen ihn zum Bundespräsidenten wider willen." Warum nicht? Warum sollte im Land der Dichter und Denker nicht mal ein Philosoph an der Staatsspitze stehen? Peter Sloterdijk ist eine geistig unabhängige Person, ein überaus reicher und freigiebiger Denker mit einem breiten Spektrum, er ist robust agonisch, gewandt und versiert auf verschiedenen Parketten der gesellschaftlichen Diskussion und der Medien, kein Langweiler, ein Parteigänger des Thymischen, des Wage-Mutes, des Entrepreneurs, ohne zu vergessen, dass diese Subjektivität reguliert werden muss; außerdem ist er, auch wenn er prima vista nicht so aussieht, fit wie ein Turnschuh (und hier); er könnte vielleicht noch einen Style-Coach und einen besseren Schneider gebrauchen. Das Leben ist für Sloterdijk Training, Philosophie eine Trainingsmethode: Du sollst Dein Leben ändern (ich bin mir nicht sicher, ob es bei Sloterdijk auch Seinsbereiche gibt, die man nicht optimieren sollte); Politik würde mit ihm sportlicher werden; seine Gegener könnten ihre Argumente schärfen. Sloterdijk ist ein Geist, der viel zu sagen hätte, Anstösse geben könnte zu anstehenden Wandlungsprozessen, zu dem Prozess der Globalisierung, zu den internationalen Netzwerken, zu der Ent-grenzung durch und der Zivilisierung des Kapitalismus, zum demografischen Prozess, zur Biopolitik (Regeln für den Menschenpark) oder auch zu den transhumanen Perspektiven unserer technischen Entwicklung, die z.B. ein Ray Kurzweil mit der Singularitätshypothese an die Wand malt. Es gibt gesellschaftlich relevante Themen, von denen die gegenwärtige Politik, die sich erschöpft, weil sie nicht über den Tellerrand unserer Nahzukunft, der Bewältigung des Heute blicken kann und will, nichts wissen will.

Ich würde Sloterdijk für eine sehr gute Wahl halten (Alexander Kluge oder ein Hans Magnus Enzensberger, die auch excellente und umstrittene Seismographen von gesellschaftlichen Prozessen wären, sind keine Rampensäue). Definieren Sie Ihre Qualifikationskriterien, malen Sie ein Bild Ihres Bundespräsidenten. Was sind die Themen, die er ansprechen soll? Vielleicht kommen Sie zu dem Schluß, dass an die Staatsspitze kein Philosoph oder nicht dieser Philosoph gehört, dass ein anderes Profil passender und nützlicher wäre. Stellen Sie dies zur Diskussion!

Wie soll der Bundespräsident gewählt werden? Ich bin weder Politiker noch Verfassungs- oder Staatsrechtler; insofern will ich nur eine grobe Skizze geben, deren Tauglichkeit leicht überprüft werden kann. Ich befürworte eine Anreicherung und Ergänzung der weitgehend repräsentativen Demokratie in der Bundesrepublik durch plebiszitäre, direktdemokratische Elemente auf der einen Seite, meritokratische Elemente auf der anderen Seite. Im jetzigen Wahlverfahren durch die Bundesversammlung, das ansatzweise auch meritokratische Elemente (Wahlmänner, Wahlfrauen, die aus den Landesparlamenten gewählt werden) hat, spielen parteipolitische Gesichtspunkte bei der Kandidatenauswahl eine große Rolle. Eine Volkswahl des Bundespräsidenten würde die "Entscheidung nicht mehr dem Machtkalkül der Parteien überlassen" und würde "dem Amt mehr Autorität denn je verschaffen" (Christian Ude); dagegen wird vorgebracht, dass es sich um einen vollständigen Systembruch mit einer überschießenden und konkurrierenden Legitimät des Bundespräsidenten gegenüber der Bundesregierung handeln würde (Robert Leicht).

Ich möchte hier ein vollständig meritokratisches Verfahren vorschlagen, das einerseits das Amt des Bundespräsidenten und seine Aura aufwertet, andererseits vermeidet, dass eine Konkurrenzsituation zwischen dem Amt des Bundespäsidenten und der Bundesregierung entsteht. Dadurch könnte auch die Diskussion, was denn gesellschaftliche Meriten, Verdienste um die Gesellschaft und den Staat sind, intensiviert werden. Grundzüge:
1. Wahlberechtigt sind alle Träger der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland  
2. Von den Wahlberechtigten können Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert werden.
3. In einer Vorwahl werden von den Wahlberechtigen 10 Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gewählt.
4.  Von den Wahlberechtigten wird ein Wahlausschuss von 100 Persönlichkeiten gewählt, der aus der Reihe der 10 Kandidaten den Bundespräsidenten wählt. Gewählt wird in einem Konklave so lange, bis ein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.
5.  Die Wahlperiode beträgt 7 Jahre; eine Wiederwahl ist ausgeschlossen.

Soweit so grob. Kritik und Verbesserungsvorschläge, Alternativen werden von mir gerne angenommen und weitergeleitet.

Ich danke den Kombattanten bei Starke Meinungen, Roland Ziegler, Rita E. Groda, Parisien, EJ, Jean-Luc Levasydas,  derblondehans, Kerstin, KJN, Alan Posener, Klaus Kocks