Donnerstag, 3. September 2009

Leseempfehlung: Henryk M. Broder, Kritik der reinen Toleranz
Archiv 3.9.2008


 Leseempfehlung anläßlich 1 Jahr Kritik der reinen Toleranz

Henryk M. Broder, Kritik der reinen Toleranz, wjs verlag, Wolf Jobst Siedler jr.. Berlin 2008 (Erscheinungstag 3.9.2008) 

Henryk M. Broder ist als begeisterter Informationsjunkie ein begnadeter Recherchierjournalist und ein durch sog. „Wissenschaft“ nicht angekränkelter Analytiker. Wie weiland Abraham a Santa Clara rüttelt und schüttelt er uns schlagend-crescendo-accelerando-forte-fortissimo mit einem Traktat von 184 Seiten und gefühlten 360 Polizeimeldungen durch. In dem schockschwerenotgeschüttelten Cocktail rumpeln und pumpeln Viagra-Kalle im besonderen und Sozialschmarotzer im allgemeinen, Kannibalen, Martin Hohmann und andere eo ipso-Antisemiten, Raucher, Pädophile und Kindsmörder, Klaus Wowereit und Peter Ustinov im besonderen und andere Gutmenschen im allgemeinen, brutale Kleinkriminelle mit Migrationshintergrund, Ahmadinedschad im besonderen und der Islam im allgemeinen (könnte sein, dass ich noch eine Zutat vergessen habe).

Wir sind schon längst total überzeugt, dass Dolleranz, um das mindeste zu sagen, Mist ist und Intoleranz das Gebot der Stunde, fühlen uns jedoch durch diese Tour de Force total gerädert und wissen nicht genau, was wir aus dieser Erkenntnis heraus tun können. Gemach! Broder begnügt sich nicht mit einem Sittengemälde einer verderbten Epoche, unter der Kapitelüberschrift „Toleranz ist der dritte Weg zwischen Barbarei und Hightech“ stellt er nicht nur die „Mutter aller Fragen“, sondern präsentiert auch total überzeugend die Medizin. Bitte, nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, hören Sie mal her:

Auf Seite 185 ist es soweit:
Wir kommen nun zur Mutter aller Fragen, die schon von Lenin gestellt wurde: Was tun?

Wie es sich für einen guten Pädagogen gehört, mäandert Broder propädeutisch noch weitere zwölf Seiten durch eine richtig erschöpfende Analyse des Leninismus, der zivilisatorischen Rückständigkeit der islamischen Welt und der steinzeitlichen Halsabschneiderei der Muselmanen, aber jetzt – S. 197ff – werden wir auf die Spur gebracht


… es geht um die Verbindung von Barbarei und Hightech, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat.“ „Man müsste aber wenigstens eine Ahnung von Geschichte, Naturkunde und Dialektik [ sic!] haben, um ein Mobiltelefon benutzen zu dürfen. Im Ernst: benutzen zu dürfen, nicht zu können. … Ein Mobiltelefon ist mehr als die Summe seiner Einzelheiten. … in jedem Mobiltelefon steckt das gesammelte Wissen von Jahrhunderten, von Johannes Gutenberg bis Bill Gates, …., von Henry Thoreau bis Theodor Herzl. Es ist unmöglich, das Produkt eines langen historischen Prozesses zu benutzen, ohne sich dessen bewusst zu sein, wie das Produkt entstanden ist. Wer sich also für eine Karriere als Barbar entscheidet, sollte kein Mobilstelefon benutzen, keine E-mails verschicken und keine Atomanlagen bauen dürfen. Er soll seine Nachrichten mithilfe einer Buschtrommel verschicken, auf einem Esel zum Markt reiten und seine Hütte mit Dung heizen. Wer dagegen mobil telefonieren, mit einer Kreditkarte zahlen und in einem vollklimatisierten Schnellzug reisen möchte, der muss darauf verzichten, Leuten, die er nicht mag, die Kehle durchzuschneiden. Take it or leave it."

Unsere Denkhemmungen sind beseitigt, wir atmen auf. Konfiszieren wir einfach bei den Brutalos mit Migrationshintergrund das Handy und bomben wir jetzt im diesmal richtigen Krieg den Iran in die Steinzeit. Henryk M. Broder hat sich auch dann nie getäuscht, wenn er sich getäuscht hat. Was von heute aus gesehen keine so „gute Idee“ war

Der Irak-Krieg ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Position stets vom Umfeld und von einem bestimmten Zeitpunkt abhängt. Ich glaube inzwischen, dass der Irak-Krieg keine gute Idee war; das konnte man aber vor vier Jahren nicht absehen. Mich überzeugte damals die Absicht, in einem Land die Demokratie einzuführen…“,

war im damaligen „Umfeld“, zum damaligen „Zeitpunkt“ die beste aller Ideen; wer anderer Ansicht war und sich nicht der „Achse der Willigen“ anschliessen wollte, wurde von Henryk M. Broder „lustvoll-poinitiert“ und „mit Absicht unsachlich“ verunglimpft "Wollt Ihr den totalen Frieden?" . Im jetzigen „Umfeld“ und zum jetzigen „Zeitpunkt“ weiss Henryk M. Broder wieder ebenso sicher wie vor und zur Zeit des Irak-Krieges, was eine richtig „gute Idee“ ist. Wer davon nicht überzeugt ist, ist ein Holocaust-Leugner: »Dann gibt es die zweite Holocaust-Leugnung. Das sind Leute, die behaupten, daß Ahmadinedschads Politik für Israel keine Gefahr darstellt. Das heißt, die einigen wenigen leugnen den Holocaust, der passiert ist, und die nächsten bestreiten, daß es im Nahen Osten demnächst einen Holocaust geben könnte. Nach meinem Dafürhalten sind die zweiten viel gefährlicher. Das sind die Antisemiten des 21. Jahrhunderts.« (Report München, 23. Juni 2008).

Die Einschätzung, dass Ahmadinedschads Politik für Israel eine Gefahr darstellt, ist ohne das Menetekel einer Holocaust-Beschwörung nicht zu haben. Tertium non datur, wie weiland die Römer wussten und heute Broder zu wissen beansprucht. Der Holocaust II steht draußen vor der Haustür, der preemptive strike ist schon seit Jahren überfällig. Freunde, einem Mann mit einer derartig konsistenten und unwiderlegbaren Urteilskraft können wir vertrauen!

Sicher können wir Nokia und andere Unternehmen des globalen Kapitalismus, die noch in der letzten Hütte und Höhle Profit machen wollen, von einer exklusiven Distribution an koschere und andere geprüfte Privilegierte überzeugen. Bedauerlich nur, dass wir bei dieser grundeinfachen und soliden Idee auf das Genie eines Henryk M. Broders warten mussten, sonst hätten sich die Aktivisten der Endlösung statt mit hochorganisiertem Hightech-Massenmord mit traditionellen Faustkeilen, von denen das Judenblut spritzt, und Dummschreiber mit einem Federkiel begnügen müssen – und uns wären die vielen Kopfschmerzen bei Erörterungen über die Dialektik der Aufklärung und der Dialektik von Barbarei und entwickelter Technik erspart geblieben. Jetzt erschliesst sich uns auch der der zuerst enigmatische, aber zutiefst ingeniöse Satz „Toleranz ist der dritte Weg zwischen Barbarei und Hightech“. Barbarei ist absoluter Mist, Toleranz ist auch Mist, zwar weniger beschissen als Barbarei, doch wesentlich beschissener als Hightech. Was ist denn schon Toleranz gegen ein Handy in den Händen von Henryk M. Broder?

Wir dürfen Henryk M. Broder für die glasklare Entfaltung einer Politik der Privilegierung dankbar sein:
…. freilich [ hü] gebietet es die Vernunft, solchen Kulturen das Recht auf Entfaltung zu verweigern. Man kann eine Gesellschaft aber auch [hott] zu Tode schützen, indem man die Grenzen des Zulässigen immer enger zieht. Andererseits [hü, hü] würde eine totale [sic!] Demokratie genauso kollabieren wie der Straßenverkehr, wenn alle, die ein Auto haben, es zur gleichen Zeit benutzen würden. Wohin so etwas führt, sieht man in den Internet-Foren, wo jeder Idiot, der „anscheinend“ nicht von „scheinbar“ unterscheiden, aber einen Computer bedienen kann, nicht nur eine Meinung hat, sondern sie auch verbreitet. Die Aufhebung der Privilegien, wie dem [sic!] Zugang zur Öffentlichkeit, führt nicht automatisch zu einer Demokratisierung des öffentlichen Diskurses, sondern zu dessen Analphabetisierung.“ (S. 205)

Staunend und bewundernd nehmen wir zur Kenntnis, wie die Alphabetisierung eines Einzelnen nicht nur zu einer vollkommenen Beherrschung des dialektischen Dreischritts, sondern auch zu total überzeugenden Analogien und zur Demonstration, dass der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, führen kann.
Leider, leider fällt Henryk M. Broder nach diesem Klimax der Entschlossenheit auf den letzten Seiten zurück in einen kulturpessimistischen Defätismus und den zivilisationspessimistischen amor fati des Heiligen Vaters, Papst Benedikts des XVI. Ich bitte die geneigten und berufenen Leser und Geister selbst zu beurteilen, ob es sich bei diesen finalen Gedanken und Ausführungen

Weil aber sowohl [sic!] die Volkswirtschaft wie [sic!] die Psychoanalyse ebenfalls spekulative Disziplinen sind, deren Vertreter retrospektiv immer die richtigen Voraussagen treffen, will auch ich mir eine begründete Spekuation erlauben.“ S. 213 f


um den Vollender der Freudschen Psychologie des Unbewußten oder einen radikal schwafelnden Dummkopf handelt. Lieber Henryk, so kann man nicht mobilisieren! M.E. rächt es sich hier, dass sich der Erfolgsautor einen kleinen aufstrebenden Verlag erwählt hat, der sich noch kein Lektorat leisten kann. Ich wünsche diesem Büchlein, auf das wir alle gewartet haben, viele begeisterte Leser.

Es gibt Kritik der reinen Toleranz T-Shirts!

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