"Aber seit dem 8. Mai 1945 gibt es in Deutschland keine Antisemiten mehr, es gibt nur noch „Israelkritiker“. Doch so wie der Antisemitismus in Adornos berühmt gewordenen Diktum als „das Gerücht über die Juden“ beschrieben wurde, so ist der Antizionismus das Gerücht über Israel." (Quelle: Lizas Welt: Der Hass auf die Freiheit)
Der das schreibt ist der promovierte Jurist und Autor Tilman Tarach, dessen Opus magnum "Der ewige Sündenbock" mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder in die Welt entlassen wurde und seither von den Einzigwahren Freunden Israels als Standardwerk gerühmt wird, das den Feinden Israels, sofern sie sich denn einer Zahnbehandlung unterziehen würden (was sie nicht tun, weil sie behandlungsscheu sind), für alle Zeiten die Weisheitszähne ziehen würde.
Ich will nicht unterstellen, dass der verehrte Dr. Tarach einen historischen Befund formulieren wollte, zumal Israel erst am 14. Mai 1948 gegründet wurde (in dubio pro reo). Diesen Satz darf man nicht auf die empirische Goldwaage legen; was Dr. Tarach anzielt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine transempirische Wahrheit, die zutrifft, weil sie so formuliert ist, dass sie mit den Werkzeugen der Empirie nicht überpüft und widerlegt werden kann. Der Antisemit vor 45 ist der "Israelkritiker" nach 45 (also der Ewige Antisemit, so Broder); der Israelkritiker wird gleichgesetzt mit dem Antizionisten. Es handelt sich um eine Paraphrase eines Axioms, das von Broder im Deutschen Bundestag so formuliert wurde
"Zunächst einmal hat der Antisemitismus wenig mit Juden und gar nichts mit deren Verhalten zu tun. ... Was auch immer der Jude tut (oder unterlässt) , der Antisemit macht ihm das zum Vorwurf. Deswegen nutzt es nichts, wenn der Jude sein Verhalten ändert, um dem Antisemiten entgegen zu kommen... Basiert der Antisemitismus also auf hysterischen Ängsten, Erfindungen, Projektionen und Neidgefühlen, haben die Xenophobie, Islamophobie, Arachnophobie, Agoraphobie e tutti quanti eine reale Basis."
Nach Dr. Tarach könnte man auch so formulieren "Zunächst einmal hat der Antizionismus wenig mit Zionisten und gar nichts mit deren Verhalten zu tun. ... Was auch immer der Zionist tut (oder unterlässt) , der Antizionist macht ihm das zum Vorwurf. Deswegen nutzt es nichts, wenn der Zionist sein Verhalten ändert, um dem Antizionisten entgegen zu kommen... Basiert der Antizionismus also auf hysterischen Ängsten, Erfindungen, Projektionen und Neidgefühlen, haben die Xenophobie, Islamophobie, Arachnophobie, Agoraphobie e tutti quanti eine reale Basis."
Oder so: "Zunächst einmal hat die Israelkritik wenig mit Israelis und gar nichts mit deren Verhalten zu tun. ... Was auch immer der Israeli tut (oder unterlässt) , der Israelkritiker macht ihm das zum Vorwurf. Deswegen nutzt es nichts, wenn der Israeli sein Verhalten ändert, um dem Israelkritiker entgegen zu kommen... Basiert die Israelkritik also auf hysterischen Ängsten, Erfindungen, Projektionen und Neidgefühlen, haben die Xenophobie, Islamophobie, Arachnophobie, Agoraphobie e tutti quanti eine reale Basis."
Worauf es ankommt: Während also Xenophobie, Islamophobie, Arachnophobie, Agoraphobie eine reale Basis haben, gibt es keine reale Basis für Israelkritik, Antizionismus, Antisemitismus; letztere basieren ausschließlich auf hysterischen Ängsten, Erfindungen, Projektionen, Neidgefühlen, Wahnvorstellungen, Gerüchten; die Besatzungs- und Siedlungs- und Annexionspolitik, die Herrschaft eines Volkes über ein anderes Volk ist ein Grücht, nicht wahr, Dr. Tarach?
Was ist es denn nun, was die Antisemiten vor 45, die Antizionisten, die "Israelkritiker" nach 45 bewegt? Dr. jur. Tarach ist nicht der erste und wird nicht der letzte sein, der Schemata des Zusammenhangs von autoritärem Charakter und Antisemitismus (vgl.) mit wachsender Begeisterung wiederkäut, wie man das mit Heiligen Texten zu tun pflegt, dass sie hintenraus als der Weisheit letzter Schluss fallen. Amen. Weil Dr. Tarach das so exemplarisch tut, schadet es nichts, sein Häufchen Dogma anzuschauen:
"Der Hassschwerpunkt aller Antisemiten [Antizionisten, Israelkritiker] ist gegen die Idee der Emanzipation des Individuums von den Zwängen der Natur und vor allem der Gesellschaft gerichtet; Judenfeinde sind stets Feinde der individuellen Freiheit und der Geistes. Nicht das Subjekt mit all seinen Bedürfnissen steht im Vordergrund, sondern ein religiöses oder nationales Kollektiv: Was früher die Christenheit war, ist heute die Umma oder die mit der Scholle verwachsene, gleichsam naturwüchsige Volksgemeinschaft. Das zeigt sich auch an den gängigen antizionistischen Parolen: Es ist eher selten die Rede von der „Freiheit für die Palästinenser“, weitaus häufiger wird die „Freiheit für das palästinensische Volk“ gefordert. Antisemiten sind geprägt von der Angst vor dem Verlust der Nestwärme der eigenen Gemeinschaft, von der Angst vor der Freiheit und der mit der Freiheit stets verbundenen Unsicherheit und Notwendigkeit der intellektuellen Anstrengung. Die Delegation jeder Entscheidung an eine Autorität bzw. an ein Kollektiv jedoch führt zur intellektuellen Verwahrlosung.
Antisemiten haben infolgedessen eine regelrechte Knechtsgesinnung gegenüber ihrem eigenen, paternalistisch strukturierten Kollektiv, und zur Selbstversicherung werden regelmäßig die Juden als (vermeintlich) religiöses – oder Israel als nationales – Gegenkollektiv wahrgenommen und gehasst (aber zugleich heimlich beneidet), denn sie werden als gleichschaltungsresistent imaginiert und erinnern den Antisemiten unbewusst an seine eigene armselige Existenz in seiner freiwilligen Unterwerfung unter seine eigene Gemeinschaft. Es ist, als würde die gesichtslose, dem Herdentrieb folgende graue Maus den Juden vorwerfen: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!“ ...
Um die eigene Aggressivität zu kaschieren, werden dabei die Juden stets als Angreifer halluziniert. Früher hieß es in diesem Zusammenhang „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“, heute wird Israel zum Aggressor gemacht, zu dem Staat, der wie kein anderer den Weltfrieden bedrohe und Palästinenser quäle, obwohl doch Israel seit über 60 Jahren bedroht und angegriffen wird und obwohl die Palästinenser, die in Israel leben – also die israelischen Araber – unvergleichlich mehr Rechte und Freiheiten haben als die Palästinenser in jedem arabischen Staat. ...
Die Juden, die so genannten Volksfeinde, die Schwulen, die Intellektuellen, aber auch alle anderen, die im Verdacht stehen, das eigene Glück zum Handlungsmaßstab zu machen, wirkten „zersetzend“ – so heißt es. „Zersetzen“ bedeutet hier, ein Kollektiv in seine Einzelteile aufzulösen." (Quelle)
Unterscheidungskunst, die Fähigkeit zur Unterscheidung kann sehr schnell in Sackgassen geraten; das passiert z.B. dort, wo statt Differenzen Negationen erscheinen, wo statt Unterscheidungen Oppositionen, bloße Gegensätze konstruiert werden. Wie noch jedem Manichäer gelingt es Dr. jur. Tarach spielend, ein konsistentes Weltbild mit einer klaren Opposition und Negation zwischen den Achsen des Guten und des Bösen, zwischen Plusmenschen und Minusseelen aufzubauen; Dr. Tarach braucht Teufel, um Israel zu verteidigen. Dr. Tarach arbeitet mit zwei Antagonismen: gutes (emanzipiertes) Individuum versus böses (reaktionäres) Kollektiv und böses (paternalistisch strukturiertes) Kollektiv versus gutes (jüdisches, sei es (vermeintlich) religiöses, sei es nationales) Gegenkollektiv. Nach Dr. Tarach kann es für die Goyim keinen komplementären oder dialektischen Bezug zwischen dem Individuum und dem Kollektiv (Religion, Volk), in das es geworfen war, geben. Entweder bleibt der Goy (insbesondere der Deutsche) in einer Knechtgesinnung in seinem Kollektiv stecken ("freiwillige Unterwerfung unter seine eigene Gemeinschaft"), delegiert jede Entscheidung an eine Autorität bzw. an sein Kollektiv oder emanzipiert sich, arbeitet sich heraus, macht das "eigene Glück zum Handlungsmaßstab", kann dies nur dadurch, dass er sein Kollektiv negiert und aus "Gründen der Vernunft eine Position einnimmt, die doch so weit entfernt ist von dem, worauf man sich stillschweigend geeinigt hat." - Wenn ich den Schockschwerenot geschüttelten Cocktail von Dr. Tarach einigermaßen verstanden habe, ist Am Israel, das Volk Israel nicht nur ein von Antisemiten halluziniertes Gegenkollektiv, sondern ein Kollektiv sui generis; hier stehen (jüdisches, israelisches) Individuum und Kollektiv nicht in Opposition, das Individuum muss das Kollektiv nicht negieren, um sich als freies Individuum zu emanzipieren. Der Jude/Israeli ist, so Dr. Tarach, der Prototyp des emanzipierten Individuums, der individuellen Freiheit und des freien Geistes; er macht das eigene Glück zu seinem Handlungsmaßstab; er unterwirft sich nicht dem (Gegen-)Kollektiv. Es würde zu weit führen, hier die hohe Bindungsfähigkeit des jüdischen, sowohl religiösen als auch nationalen, Kollektivs in der Geschichte, damit verbunden die Überlebensfähigkeit des jüdischen Volkes, den evolutionären Vorteil dieses Kollektivs zu diskutieren; ich vermute, dass dieses jüdische/zionistische Kollektiv durchaus paternalistische und autoritäre Züge hat.
Dr. Tarach beklagt: "Wer sich dem Kollektiv nicht unterwirft, wer alleine durch seine Existenz beweist, dass er sich sozialem Druck nicht beugen muss, der gilt nicht selten als (Volks-) Verräter..." Hier würde ich gerne wissen, wie Dr. Tarach die Verurteilung von Juden, die sich kritisch mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern auseinandersetzen, als "selfhating jews" (hier wird das Kollektiv mit dem Selbst identifiziert) oder die Attacke Henryk M- Boders, der einen deutsch-jüdischen "Israelkritiker" als einen "Volksschädling" verunglimpfte, bewertet. Was spricht dagegen, gerade auch bei diesen Dissidenten die Überlegung Dr. Tarachs in Anschlag zu bringen?
"In das kleine Hirn dieser Leute passt der Gedanke also nicht, dass man aus Überzeugung und Gründen der Vernunft eine Position einnimmt, die doch weit entfernt ist von dem, worauf man sich stillschweigend geeinigt hat ...", nämlich darauf, dass es entweder ein palästinensisches Volk nicht gibt und/oder dass die sogenannten Palästinenser im Gegensatz zu dem Volk Israel kein Recht auf das Gelobt Land haben und/oder bereits einen palästinensischen Staat, nämlich Jordanien, haben.
Habe ich Dr. Tarach mißverstanden? War ich nicht großzügig genug, habe ich Korinthen gekackt?
Parerga und Paralipomena zu einem Netzwerk mit "lediglich bloßen" Beziehungen, Henryk M. Broder und seine domini canes z.B. Lizas Welt, Castollux, Spirit of Entebbe, Heplev, Honestly Concerned, der legendäre Lehrer "Walter Schmidt". Dazu der unglückliche Alan Posener und Querverweise zu den "nun wahrlich unseriösen Islamophoben um Politically Incorrect."
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3 Kommentare:
könnten wir nicht die "anti-deutschen" ergüsse für einen zwiebelfisch-preis vorschlagen ?
haben sie doch die deutsche sprache, um 2 'gewichtige' verben bereichert: es sind dies "imaginieren" und "halluzinieren" ! und so wie ein vögelchen dies vorsang, fallen alle anderen in das gezwitscher ein ...
wie der eine vorbeter es vorsang, versucht jeder (auch der genosse tarach), sich im nachahmen dieser mimik.
schade, dass sie so unbedeutend sind, dass ein sebastian sick sie noch nicht entdeckt hat.
Anmerkungen zum Tarach-Erguß:
1. Im Spätsommer des Jahres 1953 wurde Eisenhower von einem jungen Ägypter besucht. Der Mann hieß Said Ramadan, war al-Bannas Schwiegersohn und einer der Chef-Ideologen der Moslembruderschaft. Das Beweisfoto findet sich in der Dokumentation des Colloquium on Islamic Culture des gleichen Jahres. Der Mann wurde trotz der gewalttätigen Geschichte der Moslembruderschaft empfangen -- weil er Antikommunist war.
2. Tarach zitiert aus dem Bin-Laden-Statement "Declaration of War Against the Americans Occupying the Two Holy Places" vom 23.8.1996, ohne die Quelle zu nennen -- ideologisch umgelogen, aus dem Zusammenhang gerissen und unvollständig. Wir lesen darin nämlich auch:
The people of Islam have suffered from aggression, iniquity and injustice imposed on them by the Zionist-Crusader alliance and their collaborators. ... The latest and the greatest of these aggressions, incurred by the Muslims since the death of the Prophet ... is the occupation of the land of the two Holy Places -- the foundation of the house of Islam.
Okkupation scheint mir ein eher weltliches Thema zu sein. Daß Tarach verschweigt, daß bin Ladens Radikalisierung in der Literatur u. a. auf das im April 1996 verübte Massaker von Qana zurückgeführt wird, ist dann nur logisch.
3. Wäre Tarach der Gigant an Geist und intellektuellem Durchdringungsvermögen, als der er sich offensichtlich selbst sieht, hätte er einen Blick in Bruce Lawrence' (Hg.) "Messages to the World" geworfen, bin Ladens "gesammelte Werke", wenn man so will. Thomas L. Payne hat es getan und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:
Von den 220,25 Seiten gesammelter Statements widmen sich
- 158,75 der Kritik an Aggression oder Okkupation durch den Westen (= 72%),
- 45,75 der Kritik an den saudischen Führern und ihrer Unterstützung durch die USA (= 21%),
- ganze 10 (= 5 %) religiösen Themen und dem Märtyrertum,
- 2,75 bzw. 2,5 (= jeweils 1%) dem persönlichen Leben bin Ladens und der Kritik der amerikanischen Lebensweise und, man höre und staune,
- eine halbe Seite der Beförderung des Islam und seiner Verbreitung in den Westen.
Quelle: http://www.humansecuritygateway.com/documents/TII_whatdoterroristswant.pdf
Daß Tarach so etwas durchgerutscht sein soll, kann ich mir nur mit bösem Willen oder Inkompetenz erklären.
Der Rest des Geseiers entzieht sich einer Analyse. Hierzu sollte vielleicht ein Psychiater Stellung beziehen. Ich bin es leid.
Sehr schön. Habe in meinem jüngsten Beitrag auf Ihren Artikel verwiesen: http://mondoprinte.wordpress.com/2011/10/17/tea-for-the-tilman/
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