Anläßlich der immer noch nicht abgeschlossenen Diskussion um den Bundespräsidenten. Ich will mich mal thematisch lockern.
Die Staatstheoretische Funktion des Bundespräsidenten ist durch sein Handeln und Auftreten "
den Staat selbst - seine Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit - sichtbar zu machen", so die Darstellung auf der Official Site des Bundespräsidenten. Person und Amt des Bundespräsidenten sollen kongruieren; die Person des Bundespräsidenten prägt das Amt, mehrt bzw. mindert sein Ansehen und seine Würde, wird umgekehrt daran gemessen. Der Bundespräsident, die erste Person im Staate, soll - parteipolitisch neutral und in Distanz zur Parteipolitik - eine "
klärende Kraft" sein; er wirkt durch Reden, die gesellschaftliche Debatten aufgreifen oder anstossen.
Der gegenwärtige Amtsinhaber präsentiert in seiner Person eine Einstellung des pursuit of happiness durch Netzwerke, Seillschaften, Pakte, nützliche Freundschaften, die durch gegenseitige Vorteilsnahmen win-win-Situationen sind; net-working, das nicht nur in "Hannover" gepflegt werden dürfte. Insofern wäre der Amtsinhaber ein primus inter pares. Er sieht sich selbst nicht das Ansehen des Amtes schädigen; er beansprucht für sich ein Humanum, ein Menschlich-Allzumenschliches, peccare (delinquere) humanum est. - Nun ist das Auditorium von dieser Interpretation von Amtswürde, nämlich dass ein weitverbreitetes gesellschaftliches Fehlverhalten (Korruption) nicht mit ihr kollidiert, wenig amüsiert und gar nicht überzeugt. Stutzig macht jedoch die heilig-erregte Stimmung, in der man den präsidialen Sündenbock, das personifizierte "Unbehagen an unserer Kultur" (
Wolfgang Michal), in die Wüste jagen will. Ist die Diskussion eine Kartharsis, trägt sie zur Wiederherstellung der "Würde", des "Ansehens" des Amtes bei? M.E. sagt die Diskussion etwas über unseren politischen Stolz und unsere Scham. Auf der einen Seite wird idealistisch ein Bundespräsident gefordert, zu dem dieses Land
aufschauen kann, eine
subjektive, integre Stimme, die in der gesellschaftlichen Polyphonie bzw. Kakophonie von pop-kulturalisierten, mehr oder weniger gleichgeschalteten, wunschgemäß oberflächlichen und entsubstantialisierten Konsumenten
Gehör findet; gegen das taktierende politische Alltagsgeschäft soll er einen
Kontrapunkt setzen; nostalgisch wird an
Gustav Heinemann und
Richard von Weizsäcker erinnert, ohne zu fragen, ob es die Erden und Wurzeln noch gibt, auf der diese Bäume gewachsen sind; kurz: er soll ein Leuchtturm in unserer See von Plagen sein. Auf der anderen Seite reagiert das Auditorium ironisch bis resigniert defätistisch und zynisch, fragt wie ein Jacob Augstein, ob es denn "
zuviel verlangt sei, wenn wir gerne einen anständigen Bundespräsidenten hätten. Der Bundespräsident soll sich an die Gesetze halten und ein bißchen Stress abkönnen." oder fordert, dass er wenigstens
nicht so dämlich sei, sich erwischen zu lassen, den schönen Schein zu wahren wisse.
Die Würde des Amtes ist durch diesen Bundepräsidenten beschädigt. Einige fordern, das Amt abzuschaffen, da es keine politische, sondern nur eine symbolische Bedeutung habe (
das Amt ist symbolisch - also praktisch überflüssig, Alan Posener). Dies würde m.E. bedeuten, dass die "Staatstheoretischen Funktionen", die der Bundespräsident ausübt, von einem anderen Amt zusätzlich übernommen werden müßten; dies würde auf eine Präsidualdemokratie wie in USA oder Frankreich hinauslaufen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass man das Amt des Bundespräsidenten als einen überparteilichen Kontrapunkt zu den anderen politischen Ämtern bewahren und aufwerten sollte. Es geht nicht darum, einen Bundespräsidenten ohne Fehl und Tadel zu backen, zu dem wir wie zu einem gütigen Herrgott aufschauen. M.E. geht es darum, die Auswahl- und Wahlverfahren so zu modifizieren, dass sie das Postulat der Parteiunhängigkeit des Bundespräsidenten umsetzen, und die Kandidaten an Qualitätskriterien, vor allem daran zu messen, ob sie der Königsdisziplin eines Bundespräsidenten gewachsen sind: gesellschaftliche Debatten aufzugreifen oder anzustossen, sie zu moderieren und zu gewichten, Resonanz zu verschaffen. Er kann und darf nicht unumstritten sein, er soll Weitblick haben, ein Sensorium dafür, was zu ändern ist, wenn wir (diesen Staat) bewahren wollen. Er ist der Repräsentant dafür, dass wir in unserem Gemeinwesen uns nicht defätistisch und amorfatistisch mit Prozessen, auf die wir wenig bis keinen Einfluss haben, abfinden, sondern die Zukunft gestalten wollen. Der Bundespräsident ist der Tribun unserer Zukunft.
Ich möchte ein Beispiel geben, an dem man Pro und Contra schärfen kann. In einer
Diskussion auf Starke Meinungen, der ich viele Anregungen und Einwände verdanke, schrieb Roland Ziegler "
Wir sollen unser Leben ändern, sagt Peter Sloterdijk. Zur Strafe verändern wir das Leben von Sloterdijk und wählen ihn zum Bundespräsidenten wider willen." Warum nicht? Warum sollte im Land der Dichter und Denker nicht mal ein Philosoph an der Staatsspitze stehen? Peter Sloterdijk ist eine geistig unabhängige Person, ein überaus reicher und freigiebiger Denker mit einem breiten Spektrum, er ist robust agonisch, gewandt und versiert auf verschiedenen Parketten der gesellschaftlichen Diskussion und der Medien, kein Langweiler, ein Parteigänger des Thymischen, des Wage-Mutes, des Entrepreneurs, ohne zu vergessen, dass diese Subjektivität reguliert werden muss; außerdem ist er, auch wenn er prima vista nicht so aussieht, fit wie ein
Turnschuh (und
hier); er könnte vielleicht noch einen Style-Coach und einen besseren Schneider gebrauchen. Das Leben ist für Sloterdijk Training, Philosophie eine Trainingsmethode: Du sollst Dein Leben ändern (ich bin mir nicht sicher, ob es bei Sloterdijk auch Seinsbereiche gibt, die man nicht optimieren sollte); Politik würde mit ihm sportlicher werden; seine Gegener könnten ihre Argumente schärfen. Sloterdijk ist ein Geist, der viel zu sagen hätte, Anstösse geben könnte zu anstehenden Wandlungsprozessen, zu dem Prozess der Globalisierung, zu den internationalen Netzwerken, zu der Ent-grenzung durch und der Zivilisierung des Kapitalismus, zum demografischen Prozess, zur Biopolitik (Regeln für den Menschenpark) oder auch zu den transhumanen Perspektiven unserer technischen Entwicklung, die z.B. ein Ray Kurzweil mit der Singularitätshypothese an die Wand malt. Es gibt gesellschaftlich relevante Themen, von denen die gegenwärtige Politik, die sich erschöpft, weil sie nicht über den Tellerrand unserer Nahzukunft, der Bewältigung des Heute blicken kann und will, nichts wissen will.
Ich würde Sloterdijk für eine sehr gute Wahl halten (Alexander Kluge oder ein Hans Magnus Enzensberger, die auch excellente und umstrittene Seismographen von gesellschaftlichen Prozessen wären, sind keine Rampensäue). Definieren Sie Ihre Qualifikationskriterien, malen Sie ein Bild Ihres Bundespräsidenten. Was sind die Themen, die er ansprechen soll? Vielleicht kommen Sie zu dem Schluß, dass an die Staatsspitze kein Philosoph oder nicht dieser Philosoph gehört, dass ein anderes Profil passender und nützlicher wäre. Stellen Sie dies zur Diskussion!
Wie soll der Bundespräsident gewählt werden? Ich bin weder Politiker noch Verfassungs- oder Staatsrechtler; insofern will ich nur eine grobe Skizze geben, deren Tauglichkeit leicht überprüft werden kann. Ich befürworte eine Anreicherung und Ergänzung der weitgehend repräsentativen Demokratie in der Bundesrepublik durch plebiszitäre, direktdemokratische Elemente auf der einen Seite, meritokratische Elemente auf der anderen Seite. Im jetzigen Wahlverfahren durch die Bundesversammlung, das ansatzweise auch meritokratische Elemente (Wahlmänner, Wahlfrauen, die aus den Landesparlamenten gewählt werden) hat, spielen parteipolitische Gesichtspunkte bei der Kandidatenauswahl eine große Rolle. Eine Volkswahl des Bundespräsidenten würde die "
Entscheidung nicht mehr dem Machtkalkül der Parteien überlassen" und würde "
dem Amt mehr Autorität denn je verschaffen" (
Christian Ude); dagegen wird vorgebracht, dass es sich um einen vollständigen Systembruch mit einer überschießenden und konkurrierenden Legitimät des Bundespräsidenten gegenüber der Bundesregierung handeln würde (
Robert Leicht).
Ich möchte hier ein vollständig meritokratisches Verfahren vorschlagen, das einerseits das Amt des Bundespräsidenten und seine Aura aufwertet, andererseits vermeidet, dass eine Konkurrenzsituation zwischen dem Amt des Bundespäsidenten und der Bundesregierung entsteht. Dadurch könnte auch die Diskussion, was denn gesellschaftliche Meriten, Verdienste um die Gesellschaft und den Staat sind, intensiviert werden. Grundzüge:
1. Wahlberechtigt sind alle Träger der
Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland
2. Von den Wahlberechtigten können Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert werden.
3. In einer Vorwahl werden von den Wahlberechtigen 10 Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gewählt.
4. Von den Wahlberechtigten wird ein Wahlausschuss von 100 Persönlichkeiten gewählt, der aus der Reihe der 10 Kandidaten den Bundespräsidenten wählt. Gewählt wird in einem Konklave so lange, bis ein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.
5. Die Wahlperiode beträgt 7 Jahre; eine Wiederwahl ist ausgeschlossen.
Soweit so grob. Kritik und Verbesserungsvorschläge, Alternativen werden von mir gerne angenommen und weitergeleitet.
Ich danke den Kombattanten bei Starke Meinungen, Roland Ziegler, Rita E. Groda, Parisien, EJ, Jean-Luc Levasydas, derblondehans, Kerstin, KJN, Alan Posener, Klaus Kocks