Freitag, 10. September 2010

Thilo Sarrazin zu Gast in Potsdam

Selten war es mir vergönnt, bei einem geschichtlichen Ereignis hautnah dabei zu sein (während des Golfkriegs I in einem doch eigentlich ungefährdeten Kibbuz bei landesweiten Alarmen in einer Cheder Atum zu hocken, zählt wahrlich nicht). Den Bau der Mauer und ihren Fall habe ich in einer idyllischen süddeutschen Ecke verschlafen. Aber Sarrazin in Potsdam - das ist jetzt bei mir um die Ecke.

150 gut gecastete Protestierer sind sehr diszipliniert und halten sich vorbildlich an das vorgeschriebene Drehbuch; die Presse will ja keine Überraschungen erleben. Sie haben ihre Bahnsteigkarte für den Bürgersteig gegenüber dem Nikolaisaal gelöst (Fotogalerie Märkische Allgemeine).



Die creme de la creme der deutschen Presse hat sich eingefunden, Der Tagesspiegel, der SPIEGEL, BILD, die Welt, die Märkische Allgemeine, der Kölner Stadtanzeiger e tutti quanti. Besonders auffällig im Namen des ZDF der Tausendsassa und weltbekannte Journalist Martin Sonneborn, vor dem Nikolaisaal

und innen mit einer stadtbekannten Frau der klaren Worte



Lediglich den Alpha-Journalisten Henryk M. Broder sehe ich nicht; versteckt er sich vielleicht in dieser pittoresken Gruppe, die verzückt " Ach gut, ach gut ..." psalmodiert?



Der Nikolaisaal ist gerammelt voll, gut 700 Freunde und Feinde (95% zu 5%), Lebende und Tote, gute und böse Geister

hängen gebannt an Thilo Sarrazins Lippen


Sarrazins Statements werden häufig durch donnernden Applaus belohnt. Auf einen wie Sarrazin hat das arg gebeutelte deutsche Kleinbürgertum, das sich einen Egoismus der Gene nicht mehr leisten, schon gar nicht in den Mund nehmen kann ("Deutschland, halt´s Maul"), gewartet. Hat nur noch gefehlt, dass das Te Deum angestimmt worden wäre [Einspruch: das ist gänzlich démodé, das kennt, zumal im deutschen Osten, niemand mehr; Triumphmärsche sind auch außer Mode; vielleicht ist dieser Hymnus angemessener]. Die Leute wollen bewegt werden, fragen als "aufrechte Deutsche" (ungelogen!) nach Parteigründung und Parteiführung. Die Bücher "Deutschland schafft sich ab" gehen weg wie warme Semmeln; alle wollen die Bücher von dem Messias signieren lassen

Und hier ein junger Mann, der sich als Ortvorsitzenden Potsdam für die zu gründende Partei ins Gespräch gebracht hat, zusammen mit einer Lady der klaren Worte, die wir schon kennengelernt haben, die er als zukünftige Pressesprecherin vorstellt.


Tja, liebe Freunde und Kontrahenten, das ganze hat mich sehr nachdenklich gemacht. Persönlich wirkt Thilo Sarrazin etwas verstaubt old school, häufig fahrig (aber er soll ja zuletzt sehr schlecht geschlafen haben) und nicht unsympathisch, ein Kerl, der sich nie verbiegen lassen wollte - und sein Publikum? Ich habe ja schon mehrfach auf diesem Blog darauf hingewiesen, dass Thilo Sarrazins Ausführungen zwei Schwerpunkte haben: das katastrophale generative Verhalten der deutschen Ureinwohner und Probleme der Migration und Integration, einer seit Jahrzehnten verfehlten Bevölkerungs- und Einwanderungspolitik. Die Leute wollen offenbar gerne klare Worte, sich nichts mehr vormachen. Jedoch: Die Diskussion dreht sich zu mindestens 90% um unerwünschte Immigranten, Muslime. Ceterum censeo: Thilo Sarrazins Publikum (90%) heult lieber über die Fertilitätsattacken der Muselmanen als sich ernsthaft mit ihrem generativen Verhalten auseinanderzusetzen. Insofern erwarte ich eher, dass der ersehnte "Aufbruch" mit einem Wimmern in sich zusammensackt, dass Thilo Sarrazins Hochämter der Beginn einer Reihe von Totenmessen zum Autogenozid des deutschen Volkes sind. Die Kerle und Mädels bekommen ihren Arsch nicht hoch. Ich konnte mit einem jungen Mann, Alter 40 Jahre, sprechen, der Karriere machte, weltweit herumkam, dessen Ego damit gefüttert wurde, dass seine Arbeit 70 bis 80 Stunden in der Woche gebraucht wurde. An eine Familiengründung und Übernahme einer Vaterschaft war nicht zu denken. Der Mann weiss nicht, wie er aussteigen kann. Wir dürfen sicher sein, dass er mal ausgestiegen wird. Freunde, ist das kein armer Hund, Kanonenfutter für einen maßlosen, menschenverschlingenden "Turbokapitalismus"?

P.S. Martin Sonneborn geht ad fontes

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

schinesen !!!

ansiedlung von schinesen in mecpom, war das nicht die lösung der edelfeder des spiegels ? schade, jetzt hat er doch beim völkerkundeseminar in down-under verpasst, dass auch 12 % seiner schinesen muslime sind, zumindest wenn sie aus yunnan und sinkiang kommen. sollte man auch hier nicht mehr vorsicht hinsichtlich einer religionsprüfung walten lassen ?

potsdam ? liegt da nicht jemand begraben, der in einem brief an einen preussischen bürgermeister seine anfrage, ob ein katholik bürger einer preussischen stadt werden könne antwortete: "alle religionen seind gleich und guht, wan nuhr die leute, so sie profesieren, ehrliche leute seindt; und wenn türken und heiden kähmen und wolten das land pöblieren, so wollen wir sie mosqueen und kirchen bauen ..." (der 'alte fritz')

und werfen unsere vorkämpfer für die aufklärung die moderne gesellschaft wieder auf das niveau der inquisition zurück, vade retro !

im übrigen sollten sie die beiden rauchenden familiengründer auf dem bild darauf hinweisen, dass vom rauchen dumme kinder kommen können ....

Anonym hat gesagt…

Mal eine grundsätzliche Frage, die keine Fangfrage sein soll - auch wenn sie so anmuten mag: Warum ist der Auftritt eines Herrn Sarrazin für den Betreiber eines Blogs von Bedeutung, für den es doch eigentlich, so verstehe ich es jedenfalls, um jene Israelfreunde geht, die eine falsche Solidarität an den Tag legen?
Wie gesagt - eine ganz ernstgemeinte Frage.

Oscar Mercator hat gesagt…

@anonym
mit den schinesen! sind Sie ein bißchen off-topic.
Natürlich haben Sie recht darin, dass Angehörige einer Religion berechtigt sind, ihre Gotteshäuser zu bauen. Was die Einwanderungspolitik angeht, bin ich schon -anders als Broder, der noch 2006 die Deutschen aufklärte, dass man sich seine Einwanderer nicht wie Bräute aus dem Katalog aussuchen könne - seit Jahrzehnten der Überzeugung, dass es ein Fehler war, keine Kriterien für Einwanderer festzulegen. Das hängt natürlich auch mit einem deutschen Schuldkomplex zusammen. Mein Punkt hier ist jedoch ein anderer: keine Einwanderungpolitik kann eine derartig katastrophale Bevölkerungpolitik, deren Folgen man sich schon seit Jahren an den Fingern abzählen konnte, kompensieren.
Was die Frau angeht, weiss ich mit Sicherheit, dass sie das ihre getan hat, damit gut im Rennen liegt. Der junge Mann muss jedoch das eine und andere Scheit anzünden.

Oscar Mercator hat gesagt…

@Mondoprinte
Nein, das habe ich überhaupt nicht als Fangfrage verstanden. Das zwingt mich natürlich, etwas, was ich aus dem Bauch heraus getan habe, zu reflektieren.
1. wollte ich mal den Mantel der Geschichte spüren. Ob man dann von Zeiten vor und nach Sarrazin sprechen wird, wage ich jedoch zu bezweifeln.
2. glaubte ich, dass es bei dieser Veranstaltung eine gewisse Wahrscheinlichkeit gäbe, dass ich dort das Objekt der Begierde dieses Blogs, nämlich Henryk M. Broder, treffen könnte. Ein Foto dieses Zusammentreffens wäre schön gewesen; ich hätte es gleich ins Netz gestellt.
3. gibt es bei den Einzigwahren Freunden Israels, gerade auch bei Broder, neben der bedingungslosen Unterstützung der israelischen Besatzungs- und Annexionspolitik und der ad hominem gehenden Bekämpfung aller, die Israels Politik in Frage stellen, einen starken antideutschen Impuls. Ich habe darüber mehrfach geschrieben, werde demnächst ein Post "Deutschland verrecke!" veröffentliche. Das kann ich jedoch nicht beiläufig tun, da muss ich mich schon ein paar Stunden konzentrieren. Dass Broder einer der vehementesten Unterstützer Sarrazins ist, ist recht interessant. Gewiss ist Broder Sarrazins Grundanliegen, das "Deutsche", sei es nun genetisch oder kulturell, zu "retten", schnurzegal. Von Broder wissen wir, dass er das Verschwinden des arischen Europäers von der Bildfläche der Geschichte nicht bedauern würde. Und ich glaube auch nicht, dass Broder ein Wendehals ist, soviel inkonsistentes Zeug der Kerl auch faselt. Ich vermute, dass Broder eine einzige Re-ligio, auf deutsch Rück-bindung hat, und das ist die Frage, was nutzt Israel (right or wrong). Und so sehr er die Deutschen und Europäer verdächtigt und verachtet (bei Thea Dorn faselte er ja, dass Europäer den Job des Holocaust II gerne an die Palis und Islamisten delegieren würde), hält er es für taktisch klug, die Deutschen gegen die Muselmanen in Stellung zu bringen und Israel als Bastion und Flaggschiff des "freien Westens" gegen die Muslime aus der Kritik ui bringen. Davon abgesehen, sind ja Kulturen eines (möglicherweise zweifelhaften) Respekts und der Gesichtwahrung für einen Typus wie Broder unerträglich. Von ihnen wird er nur ein Vexierbild des Schreckens vermitteln. Damit keine Unklarheit aufkommt, ich selbst habe einen grundsätzlichen Widerwillen gegen alle, die 100 und mehr pro und contra sind. Seine eigenen Ansichten in Frage zu stellen, kann nie schaden.
Ich wundere mich bei Broder immer noch etwas über die Medienresonanz, die diese Flachzange geniesst. Was meinen Sie? Denken die Ladies des TV, holla, wir brauchen, damit die Diskussion nicht einschläft, einen Rüpel, Provokateur, einen, de polarisiert?
Ich hoffe, das geht noch als Antwort auf Ihre Frage durch, und nicht als verkleidete Post.

Oscar Mercator hat gesagt…

@mondoprinte
Danke für den Hinweis auf den schönen Artikel von Hilal Szegin

Anonym hat gesagt…

@ Oscar Mercator
Gern. Der Text von Sezgin ist auf lange Zeit hin wunderbar!
Was Ihre Frage zu Broder angeht: Ich habe so das Gefühl, dass viele Medienschaffenden, aber auch Interessierte am Thema Israel-Palästina noch immer nicht so recht fassen können, welche Entwicklung Broder genommen hat. Vor gut 10 - 12 Jahren veröffentlichte er eine Reportagensammlung mit dem Titel "Die Irren von Zion", die ich für eine der brillanstesten und weitgehendsten Veröffentlichungen zum Nahostkonflikt in deutscher Sprache halte. Auch seine Arbeiten zum Antisemitismus in der politischen Linken und in unserer hiesigen Gesellschaft sind mir sehr wichtig. Mein Problem mit Broder: Erstens, er kommt zu den falschen Schlußfolgerungen, d.h. seine Antwort auf die von ihm gestellten diagnosen liegen in einem pro-likudistischen Stalismus/McCarthyismus sondergleichen. Zweitens halte ich ihn für einen recht eitlen Fatzke, der für eine halbwegs gelungene Provokation über Leichen gehen würde.
Insgesamt ist Broder aber so sehr im Medienzirkus hierzulande zu Hause, dass es schwer zu fallen scheint, ihn aufs verdiente Abstellgleis zu schieben.