Montag, 9. November 2009

Leseempfehlung: Johann Peter Hebel, Moses Mendelsohn

"Moses Mendelsohn war jüdischer Religion, und Handlungsbedienter bei einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabei war er aber ein sehr frommer und weiser Mann, und wurde daher von den angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt. Und das ist recht. Denn man muß um des Bartes willen den Kopf nicht verachten, an dem er wächst. Dieser Moses Mendelsohn gab unter anderem von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis. Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam, und als er eben an einer schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: "Es ist doch schade, guter Moses, und ist unverantwortlich, dass ein so verständiger kopf wie Ihr es seid, einem Manne ums Brot dienen muss, der Euch das Wasser nicht bieten kann. Seid Ihr nicht am kleinsten Finger gescheiter, als der am ganzen Körper, so groß er ist?" Einem andern hätt´das im Kopf gewurmt, er hätte Feder und Tintenfaß mit ein paar Flüchen in den Ofen geworfen, und seinem Herrn aufgekündigt auf der Stelle. Aber der verständige Mendelsohn ließ das Tintenfaß stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an, und sprach zu ihm also: "Das ist recht gut, wie es ist, und von der Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen Diensten viel Nutzen ziehen, und ich habe zu leben. Wäre ich der Herr, und er mein Schreiber, ich könnte ihn nicht brauchen."
Aus: Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, 1811

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