Samstag, 19. März 2011

Gastbeitrag: MondoPrinte: Solidarität oder Humanität

Das ist der erste Gastbeitrag, den ich hier veröffentliche. MondoPrintes Meditation über

Solidarität oder Humanität?

Ich kann nicht umhin, auch die Siedler von „Itamar“ als Verbrecher zu bezeichnen. Sie sind Kriminelle, auch wenn das israelische Rechts- und Regierungswesen auf ihrer Seite steht. Sie sind Diebe, die ihr Werk nicht im Dunkeln zu verrichten brauchen und die bei strahlendem Sonnenschein den Tag zur Nacht werden lassen. Ich kann nicht umhin, diese Leute als das zu bezeichnen, was sie sind: Gewaltbereite religiöse Fanatiker und Banditen. Doch auch sie sind Menschen. Auch sie haben Familie. Und ihr Leben, und das ihrer Kinder, ist heilig. Weil sie Menschen sind. Wie Palästinenser auch. Wie andere Menschen auch. Die Ermordung des Siedlerehepaares Fogel und der meisten ihrer Kinder ist eine Katastrophe. Dass solche Morde auch an Palästinensern verübt wurden und werden – dazu muss ich nicht „Today in Palestine“ lesen, um dies sehr wohl zu wissen.
Wer auch immer für diese Bluttat verantwortlich ist, muss mit  Mitteln des Rechtsstaats verfolgt werden. Mittlerweile scheint die Spur gen Asien zu führen. Scheint! Noch ist nichts definitiv.  Beschuldigungen und Bezichtigungen, die am Sonntag reflexartig an die palästinensische Adresse gerichtet wurden – auch meine eigenen Schlüsse -, sie müssen einstweilen als vorschnell abgebucht werden.
Was nicht abgebucht werden kann, ist die Tatsache, dass Ministerpräsident Netanyahu, unter dem Eindruck des Blutbads, nichts Besseres zu tun hatte, als eine „zionistische Reaktion“ anzukündigen: „They shoot, we build.“ Da kann sich die israelische Regierung noch so ärgern über CNN, die in vorauseilender Servilität meinte, von einem „Terroranschlag“ berichten zu müssen -  wer verübt in der Wahrnehmung treuer Freunde Israels denn Terroranschläge? Jedenfalls nicht asiatische Billiglohnarbeiter! Gesagt ist gesagt, und genehmigt ist genehmigt: 500 weitere Wohneinheiten in den Besetzten Gebieten als Antwort auf den Mehrfachmord von „Itamar“.
Möglicherweise waren es ganz eigene Befindlichkeiten, die mich dazu veranlasst haben, mein Erschrecken über das in „Itamar“ Geschehene auszudrücken. Möglicherweise spielte aber auch die Einsicht eine Rolle, dass ich immer wieder gern den Mangel an Mitmenschlichkeit beim Umgang mit Israel-Palästina beklage., ohne selbst zu veranschaulichen, worum es mir konkret bestellt sei.
Palästinenser und Israelis existieren nicht, damit es Israel- und Palästinasolidaritäten geben kann. Solidarität mit wem auch immer sollte nie den Blick vernebeln auf jenen, auf dessen Kosten diese Solidarität gehen könnte. Gemünzt auf Palästinasolidaität, erhebe ich zunehmend verzweifelt den Anspruch, dass es nicht nur um ein Glaubensbekenntnis gegenüber bestimmten Projektionsflächen in Menschengestalt gehen kann. Es kann nicht darum gehen, ausschließlich auf der richtigen Seite stehen zu wollen.
Palästinasolidarität muss auch im Hinblick auf die eigene Praxis bzw. die erhoffte Reichweite einen qualitativen Sprung etwa gegenüber Israelsolidarität darstellen. Letzterer wurde immer – größtenteils zurecht – vorgeworfen, Realitäten vor Ort, in Israel-Palästina, stünden bei ihr im Hintergrund, so dass das Leiden der Palästinenser seit 1948 höchstens achselzuckend hingenommen worden sei: Ausschlaggebend sei die Versöhnung der deutschen Seele mit der Geschichte gewesen.
Jetzt heißt es genau hinzugucken: Palästinasolidarität in diesem Land ist  auch als eine Konsequenz absolut berechtigter Kritik an der institutionalisierten und staatlich geförderten und bezuschussten Israelsolidarität zu verstehen. Man beachte die von mir kursiv gesetzten Wörter. Einige Reaktionen auf „Itamar“ atmen diesen Geist, als ob ebendiese Wörter bei einigen Palästinasolidarisierern nicht vorkommen würden. Im Klartext: Palästinasolidarität bleibt auf demselben Niveau wie Israelsolidarität.Und die Palästinenser als real lebende menschliche Wesen, sie tangieren einen eher peripher.
Ich kann es kaum erwarten: Honestly Concerned 2.0: Für die Sache Palästinas. Und alle Palästinenser, die  nicht mitmachen wollen beim neuen Opferkult – sie werden als Opfer des eigenen Selbsthasses denunziert. Leute wie etwa Viola Raheb, die auf ihrer CD „Zugvögel“ (zusammen mit ihrem Ehemann Marwan Abado) in einem gesprochenen Text die Hamas scharf kritisiert – sie werden als „ideologisch minderwertig“ eingestuft. Wenn Palästinasolidarität nur eine umgedrehte Israelsolidarität ist – welches Bild vom „Anderen“ herrscht dann vor?  Welche Rolle übernehmen dann jüdische Israelkritiker, zumal jenen, die sich selbst als Zionisten bzw. Israelis beschreiben? Welche Treueschwüre und Bekenntnisformeln wird man ihnen abverlangen? Muss ein Jeff Halper dann, um angehört zu werden, zunächst mal seine eigene Staatsangehörigkeit quittieren und, mit der Hand auf dem Herzen, bekennen: „Zionismus ist Rassismus“? Wo Solidarität zum Dogmenkatalog degeneriert, lugen Romantik und Folklore, die beiden guten Freunde, bereits aus der dunklen Ecke herüber.
Nicht nur, aber gerade in einem Kontext, in welchem es schwer ist, das Wort deutsch nicht zu verwenden, kann Palästinasolidarität nicht funktionieren ohne den Blick auf die jüdischen Akteure in Nahostkonflikt und -diskussion. Weil echte Solidarität nur dann ihren Namen verdient, wenn Mitmenschlichkeit an erster Stelle steht – und nicht Cui bono? oder kaltblütiger Pragmatismus -, verschließt sich Solidarität auch nicht dem Wohl und Wehe des jeweils Anderen.
Das in „Itamar“, einer von Verbrechern und ihren Kindern bewohnte Kolonie auf geraubtem Land in der Nähe von Nablus, Geschehene – es hätte nie passieren dürfen. Die Taten jüdischer Siedler, wie jener, die in „Itamar“ glauben, wohnen zu müssen, sind verabscheuuungswürdig. Aber: Es sind Morde geschehen. Punkt.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Warum schreiben sie Itamar immer in Anführungszeichen? - Das sagt schon viel aus, meine ich.

Außerdem: Sind die Siedler alle Verbrecher? Sollten dann aus unserer Perspektive auch alle Polen und Tschechen (oder zumindest ein großer Teil von ihnen) Verbrecher sein?

Habe ich dann zumindest das moralische Recht, zu dem ehemaligen Wohnhaus meines Opas zu fahren, und die dort lebende Familie abzuschlachten?
Müsste dieser Mord dann zwar auch rechtsstaatlich verfolgt werden, aber ein Großteil der Menschen würden mich verstehen und mir insgeheim noch applaudieren, weil ichs den illegalen Siedlern in Polen gezeigt habe?

Warum ist für Sie und andere (Kaufmann, Dahlenburg, Casula, Melzer, Arendt) die Israelfrage so entscheidend?

Gibt es auch nur halb soviele Blogs über andere Konflikte, meinetwegen in Tschetschenien? Wo bleibt das Engagement für Afghanistan, Irak oder Iran?

Ich bin kein einzigwahrer Freund Israels, ich bin Dahlenburg im Geiste ferner als Mercator, aber dieser Artikel sagt mir gar nicht zu. Lediglich die Meditation über die einzigwahren Freunde Israls bzw. Palästinas ist gelungen.

mfg

Da.

Anonym hat gesagt…

gibt es einen tschetschenischen, afghanischen, irakischen oder iranischen blog in deutschland, der nur annähernd soviel (fehl)propaganda macht, wie die "einzig wahren freunde israels" ? wenn ja, dann bitte melden ...

gibt es irgendwelche tschetschenen, afghanen, iraker oder iraner, die für ihren staat eine garantie ("staatsraison") einfordern, was nichts anderes ist, als ein blankoscheck für alle staatsverbrechen ? (paolo pinkel: "israel darf was es tut ....")

Oscar Mercator hat gesagt…

@ Da

Es dürfte doch deutlich sein, dass MondoPrinte gerade dagegen argumentiert hat, dass es ein irgendwie geartetes und begründbares Recht für einen inhumanen Rachakt gebe; ich habe ihn so verstanden, dass er ein leidenschaftliches Plädoyer gehalten hat für minima moralia der Humanität und gegen Rechtfertigungen von Inhumanitäten als Widerstands- und Kampfakte.

Was die Gänsefüßchen um Itamar und die Bezeichnung der Siedler als "Verbrecher" betrifft, hoffe ich, dass MondoPrinte dazu noch Stellung nimmt.

Ich habe das nicht überprüft, aber sie dürften Recht haben, dass es bei weitem weniger als halb so viele Blogs zu Tschetschenien, Afghanistan, Irak oder Iran gibt. Und zwar Pro und Kontra. Wenn es um reine Quantitäten von Opfern geht, dürften die bei anderen Konflikten höher liegen. Aber wer rechtfertigt denn die russische Reichspolitik in Tschetschenien, wer noch Bush und seine Operation enduring freedom so leidenschaftlich wie die Einzigwahren Freunde Israels die Besatzungs- und Annexionspolitik Israels? Wer spricht ansonsten von "reinen Waffen"?

Ich kann nicht für andere sprechen, warum für die die "Israelfrage so entscheidend" ist. Für mich liegt des Pudels Kern und der Unterschied darin: Zurecht versuchen wir im Westen Fundamentalismus zu bekämpfen und einzudämmen; wir haben jedoch im "Herzen" des Westens (Elie Wiesel spricht von Israel als dem "Herzen" der Welt) die Agenda einer Theopolitik und einen Fundamentalismus, den wir nicht wahrnehmen sollen. Es wird uns nicht gelingen, den einen Fundamentalismus einzudämmen, wenn wir den anderen billigen (damit auch die Gewalt eines Volkes über ein anderes privilegieren). Die meisten Menschen spüren das; ich glaube, dass die "Israelpropaganda" der Einzigwahren Freunde Israel auf verlorenem Posten und umso verzweifelter kämpft. - Das ist reichlich zugespitzt.

Oscar Mercator hat gesagt…

@ Da

P.S. das ist fein beobachtet, dass Sie Dahlenburg ferner sind als ich, ich teile ja mit ihm die Vorlieben für den FC Bayern, das Radfahren, Dick und doof und Israel. Wenn ich Smileys könnte, würde das jetzt schmunzeln.

Anonym hat gesagt…

Ich bin ja schon gespannt, ob sich ModoPrinte zu den Punkten äußert.

Auch wenn Dan Shueftan eher durch seine zynischen Kommentare bekannt ist, ist er auch in der Lage, sich klug zu äußern:

Die Araber verlieren, die ihre nationalen Energien lieber auf den Kampf gegen den jüdischen Staat richten, statt sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Falls sich die Juden fragen, ob ihre schmerzhaften Zugeständnisse im Rahmen ihres schwierigen Aufbauprojekts historisch gerechtfertigt waren, brauchen sie nur einen Blick auf das selbst verursachte Elend der Palästinenser zu werfen, die an ihrer Auffassung von "Gerechtigkeit" festhalten, in der Israel keinen legitimen Platz hat.
(Ganzer Artikel)

Was sagen Sie zu dieser Einschätzung? Wären "die Araber" nicht besser bediehnt, sich dem Aufbau zu widmen und die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist? Wo stünde Deutschland, hätte wir nicht kapituliert, sondern würden noch jetzt um die Ostgebiete kämpfen und versuchen die Allierten aus Deutschland zu vertreiben? (Ist der Vergleich so schief, oder kann man ihn anstellen?)

Viele Grüße

Da.

Anonym hat gesagt…

Sehr interessant finde ich übrigens Ihre Formulierung, dass Sie eine Vorliebe für Israel besitzen.
Aber, Sie haben sich bisher nicht zum Existenzrecht Israels bekannt, oder? Sind Sie eher eine Angela Merkel, oder ein Gysi oder gar Steinmeier?

Was halten Sie davon, wenn wir alle zum Judentum konvertieren, nach Israel auswandern und das schwache Deutschland den Kopftuchmädchen und deren Familien überlassen? Wanderers Nachtlied singen wir künftig auf hebräisch und Bernd Dahlenburg muss seine Islamophobie nicht mehr an Tabakfabriken auslassen, sondern hat künftig noch mehr nette Nachbarn.
Wir sitzen mit Casula, Walter Schmidt und Shueftan an einem Tisch, lachen über die Halunken und Jammerlappen und amüsieren uns über die neuesten Inszenierungen aus Palliwood.

Und ich bin mir sicher, Henryk Marcin Broder würde nicht kommen, er braucht Deutschland um sich aufzugeilen, und um sich überlegen zu fühlen - überlegen von Geburt an.

Aber nun Schluss für heute, sonst schreibe ich noch mehr als Sie

mfg

Da.